Pflegebedürftigkeit darf nicht zur Armutsfalle werden

05. Juli 2019

Pflegebedürftigkeit darf nicht zum Armutsfalle werden. Diese Aussage von Professor Dr. Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, fasst gut zusammen, was vielen Menschen in Deutschland große Sorge bereitet. Denn das Thema Pflege ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Menschen werden Dank medizinischem und hygienischem Fortschritt immer älter und sind dadurch auch immer häufiger auf Pflege im Alter angewiesen. Pflegeeinrichtungen und Beschäftigte in der Pflege können mit der rasanten Entwicklung aber kaum noch Schritt halten.

Fortschreitender Pflegenotstand, Attraktivität der Pflegeberufe oder zukünftige Entwicklungen in der Pflege, wie geht es weiter? Um darüber zu diskutieren, waren rund 80 Interessierte zu einem Pflegedialog ins Gemeindehaus St. Georgen in Bayreuth gekommen, um mit Karl Lauterbach über die Herausforderungen in der Pflege zu diskutieren. Eingeladen hatte die Parlamentarische Staatssekretärin Anette Kramme aus Bayreuth.

Karl Lauterbach erläuterte in seinem Impulsvortrag, welche Probleme auf Pflegende und deren Patienten zukommen werden. „Die vor 1945 geborenen Babyboomer, die jetzt ins Rentenalter eintreten, sind zu einem Drittel bereits chronisch krank. Wir können damit rechnen, dass bald die meisten Über-65-Jährigen zwei chronische Erkrankungen haben werden.“

Dabei seien die Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Rückgang begriffen, Fälle von Krebs und Demenz nähmen dagegen zu. Und diese seien nach jetzigem Forschungsstand schwieriger zu behandeln und kaum durch Vorbeugen zu verhindern. Die Zahl der Pflegebedürftigen werde von 3,5 auf 4,5 Millionen steigen.

Die Akutbehandlung werde sich vermehrt in Ballungsräume und Zentren verlagern. Für die Nachbehandlung in ländlichen Räumen sei eine digitalisierte Medizin daher unerlässlich, so Lauterbach. Etwa mit Hilfe einer elektronischen Gesundheitsakte, die jedem Arzt Einblick in Befunde und einhergehend eine bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit ermögliche. Eine weitere Konsequenz der steigenden chronischen Krankheitsfälle sei: „Wir werden in allen Pflegebereichen deutlich mehr Personal brauchen.“

Die große Koalition in Berlin habe daher Maßnahmen ergriffen. Am 1. Januar 2019 sei das neue Pflegepersonal-Stärkungsgesetz in Kraft getreten. Mit Hilfe dieses Sofortprogramms würden 13 000 neue Stellen in der stationären Altenpflege geschaffen. In Krankenhäusern werde künftig jede zusätzliche Pflegekraft „zu 100 Prozent durch die Krankenkassen refinanziert“. Dadurch schwinde der Anreiz, Kosten zulasten der Pflege einzusparen, so Lauterbach.

In der folgenden Diskussion mit den anwesenden Fachleuten entspann sich ein tiefgehender, fachlicher Diskurs. Nach Meinung Lauterbachs seien die Beschäftigten in der Pflege massiv überlastet, unter anderem durch einen viel zu hohen Pflegeschlüssel. Pflege sei mittlerweile eine ausbeuterische Akkordarbeit. „Selbstausbeutung und Idealismus der Pflegekräfte sorgen dafür, dass trotz Unterfinanzierung die Pflege in Deutschland immer noch exzellent ist“.

Anette Kramme erläuterte, was von Seiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geplant sei, um etwa eine Verbesserung der Vergütung von Pflegekräften zu erreichen. Einig waren sich Lauterbach und Kramme sowie die anwesenden Fachleute und Bürger, dass die Pflegebedürftigen und Angehörigen nicht noch stärker belastet werden dürfen. Daher fordere die SPD, den Eigenanteil bei den Pflegekosten einzufrieren und künftige Kostensteigerungen von einer Pflegevollversicherung bezahlen zu lassen.

Zudem müssten insbesondere Altenpflegekräfte besser bezahlt werden. „Natürlich muss das alles auch finanziert werden, aber durch Steuerzuschüsse und vor allem der Einführung einer einheitlichen Bürgerversicherung in der Pflege, in die auch Gutverdiener und Beamte einzahlen, ist diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung zu stemmen“, ist Lauterbach überzeugt.

Teilen